Thorsten Jekel
Und ich sage wieder ein herzliches Willkommen zu einer weiteren Folge von „Erst Hirn einschalten, dann Technik“. Und Sie wissen, ich habe in meinem „Erst Hirn einschalten, dann Technik“-Podcast in der Serie habe ich immer Menschen, die nicht rundgelutscht sind, die man vielleicht noch nicht so kennt, aber vor allen Dingen zu Unrecht noch nicht so kennt. Und heute habe ich mit dem lieben Raphael Fiegler einen Gesprächspartner dabei, den die Profis natürlich kennen, weil er ist Mister Operations. Und ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie Ihnen das geht, ich konnte mir unter Operations früher nicht so wahnsinnig viel darunter vorstellen, bis ich den lieben Raphael kennengelernt habe, der Organisation nämlich wirklich von rechts auf links dreht, aber so, dass die signifikant profitabler werden hinterher. Und dazu habe ich ihn mir heute mal eingeladen, damit mir der liebe Raphael einmal erklärt, was er denn so macht, wie er das so macht und was er denn so wahrnimmt in den Unternehmen und wie man es denn besser machen kann. In diesem Sinne ein herzliches willkommen, lieber Raphael.
Raphael Fiegler
Vielen Dank, Thorsten. Vielleicht zwei, drei Worte zu meiner Person. Bevor ich mich selbstständig gemacht habe, war ich als Unternehmensberater, Coach und Internehmensmanager, war ich sechs Jahre Geschäftsführer in der Verbandsbranche, habe davor acht Jahre als Werksleiter gearbeitet und die ersten sieben Jahre meiner Laufbahn als Lean Manager. Ich hatte das Glück, das konnte ich alles bei internationalen, sehr erfahrenen World Class Unternehmen machen, und möchte jetzt gerne das Wissen meiner Erfahrung dem Unternehmen weitergeben. Und was mache ich? Also erst mal mit dem Herzen dabei für Operations. Es ist mir ganz wichtig zu verstehen, eigentlich, wo ist der Schmerz bei einem Unternehmen? Und häufig sieht man, gerade im produzierenden Unternehmen, dass viele Berater, viele Methoden eingeführt werden, aber die am Ende des Tages scheitern. Und jeder fragt sich eigentlich, warum eigentlich? Warum klappen die ganzen Optimierungsinitiativen nicht, die man da so vorfindet?
Thorsten Jekel
Und wieso klappen sie nicht? Was ist so deine Wahrnehmung aus deiner Erfahrung? Also übrigens, by the way, er sagt so in der Getränkebranche, es gibt einen nicht ganz kleinen Getränkekonzern, der seinen Hauptsitz in Atlanta hat und der so, ich sage mal, mit der Farbe Rot ab und zu mal assoziiert wird, nur mal so ein bisschen behind the scenes zu gucken, dass das keine Bananenbude war, in der du da maßgeblich Verantwortung getragen hast. Aber die Frage ist ja das, was du eben aus diesem Hause und aus deinen jetzigen Projekten, woran scheitert es denn in der Praxis aus deiner Sicht meistens?
Raphael Fiegler
Ja, häufig liegt es daran, zum einen, dass das Top-Management in der Regel keine Zeit hat, sich keine Zeit nimmt für Veränderung, weil Top-Management als Regel wollen die Veränderung. Und meine Erfahrung ist eigentlich, dass eine Veränderung immer im Top-Management starten muss. Und wenn man da sich die Zeit nicht nimmt, um zu verstehen, wenn es vielleicht um neue Methoden geht, neue Ansätze, dann ist es meistens schon zum Scheitern verurteilt, aber es ist nur ein Part der Geschichte. Häuflich gehen Unternehmen auch hin und sagen, ich definiere mir jetzt mal einen Operational Excellence Continuous Improvement Manager, trainieren den und schicken den dann los, mal alles zu optimieren. Und stellen dann leider fest, dass so eine One-Man-Show leider auch nicht funktionieren kann, weil sie komplette Unterstützung von der Linie aus dem Top-Management brauchen. Sprich, müssen dann auch wieder erkennen, müssen auch wieder zurück auf los. Was aber auch ganz wichtig ist und da dreht sich quasi immer wieder die erste Schleife des Top-Managements wirklich einzubinden. Wenn ich nicht genau verstehe, wo mein Schmerz ist im Unternehmen und nicht genau verstehe, welche Methoden ich anwenden kann, welche Trainings, Qualifikation ich vielleicht brauche, um das zu optimieren, dann definiere ich meistens auch die falschen Projekte, die nicht dazu führen, dass ich einen Umsatz steigere, Kosten reduziere, Lieferperformance optimiere, Qualität verbessere, was auch immer mein Schmerz ist. Und darum am Ende des Tages, scheitern viele Projekte. Wo meine Erfahrung ist und darum starte ich grundsätzlich damit, wenn ich die Firma optimiere, nach vorne bringen möchte, dass erst mal das Top-Management abgeholt wird. Das muss erst mal verstehen, worum geht es überhaupt beim Thema Operational Excellence. Was muss ich tun? Was ist meine Rolle als Top-Leader, diesen Prozess zu treiben, zu unterstützen, zu verstehen, wo am Ende dann auch, ich sage mal, die Früchte der Arbeit zu ernten?
Thorsten Jekel
Auch spannend. Also das knüpft so ein bisschen an eine Diskussion, die ich die Woche beim Abendessen hatte mit dem Johannes Wart und seinem Sohn und noch einen ganz spannenden Menschen am Tisch. Und da kam so ein Punkt auf, zu sagen, sagen wir mal, es wird immer, wenn so eine Organisation mal stabil ist, dann ist wieder mal Zeit für den nächsten Change, zu sagen, muss denn Change immer sein oder ist es manchmal auch eine gute Idee, mal eine Organisation mal arbeiten zu lassen? Bevor wir in die Change-Projekte reinschauen, wie stehst du zu dem Thema? Muss man immer wieder in Change reingehen heute oder sagst du, nein, manchmal ist es vielleicht sogar counterproduktiv, wie ist denn da deine Erfahrung?
Raphael Fiegler
Also grundsätzlich lebe ich in der Philosophie und die Erfahrung habe ich auch gemacht, wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein. Also das ist mal grundsätzlich der Thema oder die Veränderung, der Wandel ist einfach zu schnell, sich auszuruhen. Aber, jetzt kommt der große Aber, man sollte definitiv die trotzdem aufpassen, dass man ein gut laufendes System nicht permanent mit Initiativen überfordert, sondern da komme ich eigentlich zum weiteren Part, der extrem wichtig ist aus meiner Zeit heutzutage, aus meiner Erfahrung. Ich nenne es Business Roadmapping, also wo es wirklich darum geht, einen Fahrplan aufzustellen, weil ich mache immer wieder Erfahrung, ob ich in große Konzerne gehe, in den Mittelstand gehe. Eine meiner Fragen ist, wenn ich jetzt neuer Mitarbeiter bei Ihnen werde, erklären Sie mir oder zeigen Sie mir doch mal irgendwo den Fahrplan dieses Unternehmens? Wo geht die Reise denn hin? Worauf muss ich mich einstellen? Und in der Regel kommen dann nur ganz große verwundernde Blicke in meine Richtung, was meinst du denn damit? Ich sage, ja, wenn ich mir jetzt vorstelle, wo will die Firma hin? Das kann einmal irgendwie eine Vision, eine Mission oder auch eine Strategie sein, aber was für mich noch viel wichtiger ist, wie sieht denn der Fahrplan aus? Was passiert denn jetzt im Januar, im Februar, im März, diesem Ziel näherzukommen und welchen Part oder welchen Baustein spüre ich bei dieser Reise? Um da die Frage von dir zu beantworten. Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, dass Firmen sich einen Plan erstellen, wo auch klar ist, was ist strategisch, was ist operativ, was soll wann passieren, dann Initiativen oder Bereiche, Abteilungen, die super laufen, einfach auch mal laufen zu lassen. Weil warum soll ich was Super erst mal komplett wieder verändern, aber mich primär mal auf die Bereiche konzentrieren, die nicht gut laufen, und da einen entsprechenden Fahrplan zu haben und mich alles über den Haufen zu schmeißen, sondern wirklich Kontinuität drin zu haben? Um da noch vielleicht zu ergänzen, was ja heutzutage Usus ist, dass man permanent Führungswechsel hat. Jedes Mal kommt eine neue Top-Führungskraft oder ein Abteilungsleiter wie ja immer, und alles wird komplett über den Haufen geschmissen, wir machen jetzt irgendwie mal einen ganz anderen Kurs, einen ganz anderen Weg. Warum sage ich, wenn man so einen Fahrplan hat und den auch gerne mal für drei, fünf oder auch zehn Jahre definiert, dann kann man auch gut laufende Abteilungen, Organisationen mal Kontinuität geben und da ansetzen, wo man schon steht und nicht wieder das Rad komplett neu erfinden.
Und ich glaube, deine Frage zu beantworten. Ich glaube, man muss immer den Change im Kopf haben, aber man muss nicht permanent alles optimieren. Man sollte aber einen Plan haben, wann welche Dinge geändert werden sollten, um auf Marktkundenbedürfnis rechtzeitig reagieren zu können.
Thorsten Jekel
Gut Punkt auf Fahrplan. Es ist auch wirklich so, wenn ich darüber nachdenke, zu sagen, ja, wie konsequent hast du wirklich so einen Fahrplan, der dann auch für alle transparent ist? Das ist auch so dieses Thema, ich weiß nicht, wie du das wahrnimmst. Ich war immer bei Tchibo beispielsweise im Kaffeeservice in der zweiten Führungsebene und da haben wir uns immer einmal im Jahr hingesetzt und an der Strategie gearbeitet. Die wurde dann hochvertraulich irgendwo abgespeichert, sodass kein Mensch drauf Zugriff hatte. Und wir haben irgendwie erwartet, dass sich das durch Osmose irgendwie an die Organisation überträgt. Also wie ist da deine Wahrnehmung, zu sagen, auch Transparenz im Sinne von, wenn solche hochgeheimen Strategien dann erarbeiten, beschlossen werden, wie ist da deine Erfahrung aus der Praxis heraus?
Raphael Fiegler
Ja, ist eine sehr interessante und spannende Thematik. Ich gebe mal ein Praxisbeispiel, was ich die letzten Monate erlebt habe. Ich führe seit mehreren Monaten auch ein Unternehmen und bin reingekommen und habe dann auch nach einer Vision gefragt, weil der Usus ist, in diesem Konzern eine Vision zu entwickeln. Und da hat der Managementteam mir ganz tollen Visionen gezeigt. Da sagt er, cool, wer hat denn die Vision entwickelt? Da hat der Managementteam gesagt, wir, wir sind doch die Manager. Ich sage, okay, ist ja interessant. Habt ihr die schon runtergebrochen? Habt ihr schon Mitarbeiter eingekommen? Kennen die Leute die Vision? Kann ich die jetzt fragen? Da sagt er, ja klar, kannst du fragen, weil wir haben es dann mal irgendwo- Im Intranet wahrscheinlich irgendwo war die große, oder?
Thorsten Jekel
Ja, wahrscheinlich.
Raphael Fiegler
Da haben wir mal eine Probe gemacht, bin mal so herumgegangen. Also kein Mensch in diesem Unternehmen kannte die Vision. Was wir dann gemacht haben, ist die Vision Wir haben mal einen Entwurf an die Wand geschmissen und haben dann über alle Schichten, über alle Abteilungen diese Vision geteilt, also diesen, sagen wir mal, Entwurf. Ich habe einfach gesagt, wir machen jetzt mal einen Entwurf draus und lassen jetzt mal alle Mitarbeiter dieses Unternehmens über mehrere Wochen diese Vision, diesen Entwurf mal wirken und ergänzen. Und wir haben damit sehr viel Energie alle Mitarbeiter abgeholt. Jeder hat dann seinen Input geben können über ganz viele Workshops. Und jetzt ist es so, dass die Vision riesig in DIN A0 überall am Standort hängt, ob ich in der Kantine bin, im Pausenraum bin, egal wo, wenn ich ihn umziehe. Überall ist die Vision sehr transparent für alle Mitarbeiter am Standort. Und wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen, was ich vorhin gesagt habe, dieses Thema Roadmap, weil eine Vision ist ja erst mal schön, aber die Mitarbeiter wollen ja verstehen, was heißt das konkret, was passiert jetzt die nächsten Monate? Was stehen vielleicht für Veränderungen für mich persönlich an? Und wir hatten dann in unserem stillen Kämmerlein, wie es vorhin geschaut hat, einen schönen Meetingraum, irgendwo eine tolle Roadmap aufgehangen und haben jede Woche unsere coolen Maßnahmen und wir haben dann einfach nur noch mal die Projekte besprochen.
Da haben wir gesagt, okay, wie kommunizieren wir das jetzt an die Belegschaft? Wir wollen ja irgendwie die teilhaben lassen. Da haben wir eine etwas verrückte Idee gehabt. Wir haben die kurzerhand einfach abgeschraubt, diese Roadmap, und haben die direkt an der Rückwand der Umkleide aufgehangen in einen großen Saal, wo die Mitarbeiter permanent dran vorbeilaufen und haben es da aufgehangen und haben jetzt immer wieder einen Dialog mit Mitarbeitern, die permanent die Roadmap, alles, was wöchentlich passiert, auch für die nächsten Monate, ansteht, haben sie visuell komplett. Wir sind mit unserem Fahrplan in der Mitarbeiterwelt und da kann ich nur sagen, das ist eine coole Erfahrung, weil dann ist man im direkten Austausch mit den Leuten. Man kann sechs beantworten, man kann Ideen mit integrieren in diesen Fahrplan und haben da aus meiner Sicht eine Verschmelzung aus einer, sagen wir mal, sehr abstrakten Vision zu einem konkreten Fahrplan mit einer aus meiner Sicht coolen Kombination in Sachen Kommunikation ergänzt.
Thorsten Jekel
Das ist cool. Wie geht man damit um, wenn ein Mitarbeiter sagt, das sehe ich überhaupt nicht so? Oder das ist nicht meine Vision, das ist völliger Schwachsinn, das funktioniert nie. Wie geht man damit um?
Raphael Fiegler
Ja, das ist auch spannend. Also wir haben… der Vorteil ist ja, die Leute konnten in diesen Workshops alles wirklich äußern. Und der Punkt ist ja dann immer, die Leute auch abzuholen und zu fragen, okay, was ist denn deine, also was ist denn deine Vorstellung? Meine Erfahrung ist, es gab in den Workshops keinen Mitarbeiter, der nicht irgendwas gesagt hat, was ihn bedrückt hat. Es ist völlig egal. Der eine hat von mir aus gesagt, ich möchte billigeren Kaffee haben. Der andere hat gesagt, ich möchte bequemere Sitze auf dem Stapler haben. Und der dritte hat gesagt, ich möchte eine höhere Bonus-Sorgung haben. Also ich sage mal, war alles breit gefächert. Es gab wirklich keinen Mitarbeiter, der nicht irgendeinen Wunsch hatte. Wir haben wirklich versucht, diese Wünsche erst mal aufzunehmen, zu verarbeiten und auch in der Vision in einem Bild darzustellen. Aber was wichtig ist, ist jetzt diese konkreten Maßnahmen – und darum komme ich zurück auf diese Roadmap – diese konkreten Themen zu sammeln der Leute, weil die meisten Themen haben sich immer wieder überschnitten. Das waren wirklich Schnittpunkte von den Mitarbeitern. Und die jetzt auf der Roadmap, ich sage mal, wirklich transparent zu kommunizieren und auch als Maßnahme klar zu kommunizieren, hat dann sehr schnell dazu beigetragen, dass die Leute gesagt haben, ja, die Vision verstehe ich zwar nicht, aber dass der Kaffee billiger wird in zwei Monaten, verstehe ich. Das ist cool, das war meine Vision.
Thorsten Jekel
Cool. Ein Thema, was man immer so gern als Wortspiel auch nutzt, ist zu sagen, das Mittelmanagement als Lämschicht mit „E“ oder mal mit „Ä“ geschrieben. Wie ist da dein Blick auf dieses Thema?
Raphael Fiegler
Ich glaube, was ganz wichtig ist – und wir da zurück, ich glaube, was ganz wichtig ist bei Veränderungsprozessen – und ich glaube, das sind Operations, aber auch in jeder anderen Abteilung oder Welt da draußen. Ich glaube, es dreht sich sehr viel darum, dass das Management, oder grundsätzlich eine Art Delegation herrscht. Also für mich ist ganz wichtig, das Mittelmanagement einzubinden, Vertrauen zu schenken, machen zu lassen, auf gut Deutsch, sich selbst – und da nehme ich jetzt mal das Top-Management wieder, sich selbst noch mal möglichst aus dem operativen Geschäft rauszuhalten, mehr strategische Dinge zu besprechen und wirklich, ich muss da leider das Vertraut vertrauen. Also Delegation ist für mich auch ein gutes Wort, aber für mich, oder vertrauensvolle Delegation, sehr wichtig, dass man das Mittelmanagement wirklich auch mal machen lässt. Und meine Erfahrung ist eigentlich, dass die dann wirklich aufblühen, die da irgendwie so ein bisschen in der Knauschzone sitzen, aber dass man dem Vertrauen gibt und einfach mal machen lässt, ist meine Erfahrung eigentlich, dass das dann wirklich sehr viel bewegt werden.
Thorsten Jekel
Also die Erfahrung, die ich auch gemacht habe in Projekten manchmal, dass wir die Schicht auch vergessen hatten, dass wir gesagt haben, wir sind jetzt irgendwie super innovativ, wir gehen jetzt auf den Shopfloor, wir reden direkt mit den Mitarbeitern und dann sagten irgendwann mal die mittelre Manager zu Recht, zu sagen, so Leute, das ging jetzt irgendwie komplett an uns vorbei. Und dann kann man natürlich auch wieder verstehen, zu sagen, okay, manchmal ist dann vielleicht, ich sag mal, die Geschwindigkeit, wo man sagt, okay, hier übergehe das mittlere Management, schneller zu sein, direkter zu sein, bremst dann die letztendlich auch wieder im Sinne der Umsetzung. Also das ist so meine Erfahrung, die ich auch mit gesammelt habe, also in dem Bereich. In dem Zuge gibt es auch immer wieder Diskussionen, wie viel Führungsebenen brauche ich, wie viel Mittelmenschen brauche ich, was ist eine sinnvolle Führungsspanne, wie ist da dein Blick auf dieses Thema? Braucht man überhaupt noch Führungskräfte? Können sich alle Menschen selbst organisieren? Wie ist da dein Blick auf dieses Thema?
Raphael Fiegler
Ich bin überzeugt, wenn man Führung ernst nehmen möchte – und ich meine ernst nehmen, dass man wirklich alles dran setzt, 80% seiner Zeit mit Menschen zu verbringen – dann ist meine Erfahrung – zumindest habe ich bis jetzt nicht hinbekommen – sehr schwer, mehr als 5 bis 10 Leute wirklich vom Spam vernünftig führen zu können, Einzelpersonen, aber hängt natürlich ein bisschen auch mit der Organisation ab. Wenn ich natürlich zum Beispiel im Produktionsfeld bin und ich habe in der Schicht auch 40-50 Leute, dann habe ich meistens zumindest mal einen Vorarbeiter oder einen Linieführer, der gewisse Tätigkeiten übernehmen kann. Aber ich sage mal, 5 bis 10 Leute halte ich für gut und eine gute Größe mal ja vernünftig führen zu können. Aber die Frage zu, brauche ich Führung? Würde ich gerne ein Beispiel mal bringen. Ich habe vor einiger Zeit selbst mal einen Standort im Unternehmen mit übernommen. Es war in einem katastrophalen Zustand und da habe ich mich in der Rolle gefühlt. Ich habe so ziemlich alle Aufgaben, alle Führungspositionen irgendwie mitmachen müssen, viele Manager coachen müssen, um die Basis irgendwie zu aktivieren. Man muss dann sagen, nach drei Jahren hat man eine Situation und ich sage mal, ich kam vom 12-14-Stunden-Tag, das Unternehmen irgendwie zu drehen. Also es stand ein finanzieller und kultureller Turnaround, war die Herausforderung. Und nach den 12 bis 14 Stunden-Tagen waren nach drei Jahren 8-Stunden-Tage geworden. Und man hat sich gedacht, okay, wie kann es da sein? Und vom schlechtsten Standort oder schlechtsten Unternehmen zum besten Unternehmen, dieses Konzert. Innerhalb von drei Jahren war die Frage, wie war das möglich? Und Das Thema Führung zu beantworten. Ich konnte wirklich mich auf das gesamte Team so verlassen, dass ich auch noch weiters 4-5-6 Wochen Urlaub machen konnte und das Unternehmen ist trotzdem extrem stabil gelaufen, extrem hohe Performance abgeliefert, weil wir es geschafft hatten, als in Summe, als Managementteam, aber auch erste Führungsebene, runter zum, sagen wir mal, Shopfloor beziehungsweise natürlich zu den Mitarbeitern oder Mitarbeitern in den einzelnen Abteilungen, dass wir so viel Eigenverantwortlichkeit und so viel, sagen wir mal, Spaß und Eigendynamik erzeugt haben, dass das Unternehmen wirklich selbstständig gelaufen ist. Jetzt kommen wir über das kleine „Aber“. Man hat aber trotzdem erkannt, dass eine gewisse Führung und natürlich eine gewisse Koordination nötig ist und war, gerade umso komplexer die Aufgaben sind, gerade umso komplexer Projekte sind über mehrere Abteilungen hinaus. Aber es war schön zu sehen, dass man aus dem operativen Geschäft sich größtenteils heraushalten konnte und man sehr viel mehr strategische und langfristigere Themen bearbeiten konnte, zu denen man vorher gar keine Zeit gehabt hat.
Also meine lange Antwort auf deine Frage ist, man braucht Führung, aber die Führung sollte primär auf Vertrauen und Delegation beruhen. Dann, glaube ich, kommt jede Führungskraft eher zu dem Endziel, auch wirklich sich mit Menschen und Führungen beschäftigen zu können und nicht im täglichen Firefighting abzusaufen.
Thorsten Jekel
Ja, das ist immer so, ich finde es immer interessant, wenn dann über neue Führungskonzepte diskutiert wird. Und ich sage dann manchmal Leute, fang einfach mal an zu führen. Ich nehme immer wenig Führung wahr. Ich nehme immer viele überbezahlte Sachbearbeit da wahr, aber wenig Führungskräfte, wo ich immer sagend danke. Also ich dachte mir, ich bin der einzige Dino, der sagt, mehr als zehn Menschen zu führen, ist mir bisher nie gelungen. Also und mein Vater war früher im Top-Management, mittlerweile in Ruhestand. Der sagte auch, jeder Mitarbeiter kostet dich ungefähr zehn Prozent deiner Kapazität, wenn du es ernst meißt. Ja, genau. Und wenn du dann sagst, wenn du dann über 8 Mitarbeiter bist, dann hast du gerade noch mal 20% Restkapazität. Bei 10 bist du schon bei 100. Also ich sage mal, da wird es schwierig. Und hat sich für mich auch so bestätigt, ich sage mal, aus meiner eigenen operativen Erfahrung heraus. Und deswegen finde ich es immer spannend, wenn es heißt, nein, wir hauen da ganze Führungsebenen raus. Also die braucht man alle nicht. Also ich glaube auch, was ich immer wahrnehme, dass Führung meistens so der Engpass ist, den man dort entsprechend hat, weil System ist das eine, Führung ist das andere.
Also deswegen, wenn man jetzt mal guckt, du bist ja teilweise auch wirklich selbst in der eigenen operativen Verantwortung, was du machst. Das heißt, wenn du jetzt sagst, okay, du fängst mal an in so einem Unternehmen, wo es jetzt wirklich, ich sage mal, eher das schlechteste Unternehmen im Konzern ist und du willst es zum besten drehen. So wie sind da aus deiner Erfahrung die richtigen Schritte in welcher Reihenfolge?
Raphael Fiegler
Also das ist für mich eine sehr, sehr gute Frage und aus meiner Erfahrung, das Allerwichtigste, was ich tue, und habe ich bis jetzt wirklich in allen Stationen, in allen herausfordernden Positionen gemacht, ich habe mir erst mal sehr viel Zeit genommen, um mein Anspruch mindestens mit 80% der Belegschaft die ersten drei Monate gesprochen zu haben. Und ob das Unternehmen 50 Mitarbeiter hat, 100 oder auch 400, bis zu 600 Mitarbeiter habe ich geführt in unterschiedlichen Geschäftsführer- oder Werksleiterpositionen. Aber der Anspruch ist wirklich dann, die Mitarbeiter einfach mal in einem Eins-zu-Eins-Gespräch und die Gespräche dauern in der Regel dann wirklich auch eine Stunde, sodass ich wirklich die ersten Monate nicht viel mehr mache, als mich mit Menschen zu unterhalten. Klar gucke ich mir auch Maschinenprozesse, Abläufe an, aber ich sage mal, wirklich, eher 90% der Zeit der ersten Monate verbringe ich nur mit Personalgesprächen, also Mitarbeitergesprächen, umdie Kultur, die Menschen, die Werte kennenzulernen, aber vor allen Dingen auch direkt zu erkennen:, wo hakt es eigentlich im Unternehmen? Wo müssten welche Veränderungen her. Und das, was einem da extrem hilft, ist auch sehr schnell ein Gefühl dafür zu bekommen, dann habe ich die richtigen Leute auf dem richtigen Job? Und wo muss ich wirklich nach den drei Monaten anpacken, schnell einen Impact im Unternehmen zu bewirken?
Und wenn dieser Schritt in Einführungsstrichen vorbei ist, wenn ich sage, okay, die Menschen mal alle kennenzulernen und das ist für mich ganz wichtig, einfach auch das Unternehmen in Prozesse zu screenen. Also, wie laufen welche Prozesse ab? Wo steht das Unternehmen in Sachen Kennzahlen? Ich gebe dir mal zwei, drei Beispiele. Wenn ich im Unternehmen als Beispiel Wenn ich ein Unternehmen habe, wo zum Beispiel viele Arbeitsunfälle passieren oder wo ich eine schlechte Produktqualität habe, weil viele Reklamationen aus dem Markt kommen oder ich habe einen schlechten Service-Level insmerken, weil der Kunde ist sehr unzufrieden, weil permanent zu wenig Ware kommt oder zu spät die Ware kommt oder ich habe eine hohe Krankenquote oder die Performance der Linie stimmt nicht. Egal, welche Kennzahl ich nehme, ist in der Regel immer ein Spiegelbild der aktuellen Kultur und der aktuellen, ich sage mal, entweder Kompetenz oder Inkompetenz der existierenden Prozesse. Und da ist für mich ganz wichtig, da relativ schnell auch, ja, ich sage mal, ein klares Bild zu bekommen, wo steht das Unternehmen auch? Und für mich ist dann auch immer wichtig, auch mal die ganzen Peers und externen Kunden zu befragen, als dritten Schritt zu sagen: Was sagen die Kunden eigentlich über das Unternehmen, über den Standort? Was sagen die Peers? Was sagen die Kollegen, Geschäftsführer, Werksleiter, wie auch immer? Was sagen eigentlich (???) Management über den Standort? Wo drückt es da, einfach mal ein gesamtheitiges Bild zu bekommen? Ich habe die Belegschaft, inklusive natürlich der Führungskräfte. Ich habe alles, was dann Kennenzahlen, Prozesse da ist und dann auch immer die externe Sicht drauf, sodass ich sage, okay, ich glaube, so dann nach fünf, sechs Monaten hat man aus meiner Sicht eigentlich schon ein sehr, sehr guten Bild über das Unternehmen und die Schwachstellen und kann dann entsprechend auch ansetzen.
Thorsten Jekel
Wie geht es dann weiter?
Raphael Fiegler
Genau. Dann ist für mich einmal wichtig zu verstehen und das ist einer der wichtigen Punkte, habe ich die richtigen Leute auf dem richtigen Job? Um wirklich zu gucken, muss ich organisatorisch Dinge ändern? Muss ich vielleicht auch Leute noch schulen, qualifizieren, weil sie den Aufgaben noch nicht gerecht werden können an vielen Stellen? Und dann aber auch das Thema, wirklich, wie ich vorhin schon gesagt hatte, eine entsprechende Roadmap aufzusetzen, zu strukturieren, zu definieren, okay, was brauche ich an organisatorischen Dingen, an Schulungsthemen? Aber was brauche ich vielleicht auch an Prozessoptimierungen, an neuen Technologien, an Automatisierungen und was auch immer, Prozesse, Abläufe zu optimieren? Aber dann natürlich auch die ganzen Dinge, wie kann ich meine Kennzahlen optimieren? Muss ich an der Sicherheitskultur arbeiten, weil ich viel zu viele Unfälle habe, dann einen entsprechenden Plan aufzustellen? Oder muss ich in Sachen Kunden oder Lieferservice Dinge optimieren, das wirklich dann im ersten Schritt mal, einfach mal einen Schritt zu gehen? Und da will ich noch nicht, irgendeine Vision oder eine Strategie zu entwickeln, sondern einfach mal, einen Schritt mal nach vorne zu machen, ein halbes Jahr mal einen starken operativen Plan aufzusetzen, das Unternehmen mal einen Schwung nach vorne zu bringen, sowohl organisatorisch als auch von den Prozessen und Abläufen und dann, sage ich mal, auch aus meiner Erfahrung ein gewisses Standing zu bekommen in der Mannschaft. Wenn man da als Geschäftsführer, Werksleiter wie auch immer reinbekommt, ist aus meiner Erfahrung wichtig, dass die Leute sehr schnell merken, da ist einer der Weiß, was er tut. Die können wir vertrauen und das gewinnt man in der Regel schnell einmal durch die Mitarbeitergesprächen natürlich, aber auch wenn man einen Fahrplan zeigen kann nach kurzer Zeit, nach ein paar Monaten, der die wichtigsten kritischen Themen im Unternehmen anpackt und auch optimiert. Und wenn man dann mal einen Schwung gemacht hat und sagt, okay, jetzt haben haben wir die ersten Schritte getan. Die Mitarbeiter, die Führungskräfte merken, oh, wir packen jetzt mal an den richtigen Punkten an. Wir haben den einen oder anderen Kunden, der jetzt zufriedener ist mit positivem Feedback. Wir haben von mir aus Arbeitsunfälle reduziert, wir haben Reklamationen reduziert, was auch immer. Dann ist eigentlich so der Prozess, dass man wirklich sagt, aus meiner Erfahrung, jetzt lasst uns mal eine vernünftige Strategie aufsetzen für die nächsten 3 bis 5 Jahre und was muss da eigentlich alles passieren? Und dann sage ich mal, aus dem Portfolio, ob es jetzt Operational Excellence genannt wird, Six Sigma, Lean Management, dann auch wirklich die richtigen Methoden, ich sage mal, die richtigen Pakete zu schnüren, das Unternehmen auch langfristig und vor allen Dingen nachhaltig zu optimieren, mal über einen längeren Zeitraum.
Thorsten Jekel
Das ist auch ein spannender Ansatz zu sagen, eben nicht anzufangen mit McKinsey-Style-Charts und zu sagen, wir gehen mal strategisch an das Thema ran und irgendwann kommt es mal in der Operativen an, sondern zu sagen, in der Operativen sogar anzufangen und dann, wenn man da stabilisiert hat und die ersten operativen Erfolge generiert hat, dann auch, ich sage mal, in die langfristige Ausrichtung reinzugehen. Finde ich einen sehr spannenden Ansatzpunkt und ich glaube auch genau, das macht dann den Unterschied aus, weil so wie du richtigerweise sagst, die Mitarbeitenden wollen ja auch irgendwo anfassbare, greifbare Ergebnisse haben und wenn man, ich sage mal, zu abstrakt und zu lange braucht, dann sind die Ergebnisse, glaube ich, zu lang einfach weg, dass die Leute sich das nicht vorstellen können und sagen, da ist irgendwie einer, der in seinem weißen Sessel und macht da irgendwie – ich sage mal schlaue Sprüche – aber zu sagen, einen, der dann auch mal sich die Hände selber schmutzig macht und eben die wichtigen Sachen dann mit den Leuten spricht und die wichtigen Sachen anpackt. Ganz, ganz wichtiges Thema, absolut. Also auch noch mal spannend. Und wenn du sagst dann, welche Konzepte … also du hast jetzt ja einige genannt schon mit dabei – gibt es Konzepte, wo du sagst, die sind völliger Humbug. Gibt es Konzepte, wo du sagst, die sind wirklich Wunderwaffe? Sagst du, völlig wurscht, was es für ein Konzept ist? Wie stehst du damit? Weil da wird immer eine neue Sau durchs Management Consulting-Dorf getrieben, also deswegen würde mich bei deiner Was ist denn Ihre Einschätzung dazu interessieren.
Raphael Fiegler
Also ich würde mal sagen, grundsätzlich, sage ich mal, die ganzen Methoden, ob sie jetzt, wie gesagt, egal welche Methoden man in Lean Management, in Sachen Operation Excellence, TPM-Konzept anwendet, das sind alles super Methoden. Die Erfahrung sagt nur, ich sage mal, ich würde behaupten, 80 bis 90% der Firmen kennen die Methoden auch, also die mal so eine Initiative gestartet haben. Aber es scheitern trotzdem, weil es nicht an den Methoden liegt, weil die Methoden sind geübt, die sind praktiziert, die funktionieren. Aber da stellt sich die Frage, warum funktionieren die nicht bei allen Unternehmen? Und ich nehme mal das Thema Toyota. Toyota mit dem Toyota-Produktivitätssystem ist so der Vorreiter aus meiner Sicht, was alles Operational Excellence ist alles, was Lean-Management im Prinzip angeht, zu optimieren. Und Toyota hat ganz klar gesagt, ihr könnt alle zu uns kommen, egal wer auf dieser Welt, ihr könnt uns besuchen. Ich durfte auch schon mal ein Toyota-Werk besuchen, weil sie sagen, ihr könnt uns nicht kopieren. Ihr könnt reinkommen, ihr könnt euch die Methoden angucken, ihr könnt versuchen, von uns zu lernen, aber ihr könnt eine Sache nicht kopieren, weil das ist unsere Kultur. Das, wie wir als Manager, der Dreh- und Angelpunkt unsere Kultur und dem Erfolg ausmachen. Und das fand ich extrem spannend. Wenn man das jetzt mal überträgt auf die Firma, weil ihr fragt, was funktioniert und was funktioniert nicht. Also das definitiv überhaupt nicht funktioniert. Da kann man sich die Zeit und das Geld sparen. Einfach nur als Beispiel: Einen CI-Manager qualifizieren. Den mache ich dann zum TPM-Trainer, der wird noch ein Six Sigma Black Belt und kriegt noch alle möglichen Change Management Coachings. Und dann heißt es auch jetzt Firma, die Operation Extern. Also mach mal. Also da Zeit und Geld kann man sich sparen. Variante zwei ist auch das gesamte Management von mir aus oder ich sage mal, ein Großteil der Belegschaft in den ganzen Methoden trainieren und dann sagen, jetzt laufen wir mal los. Auch das, kann ich sagen, wird nicht funktionieren. Was ganz wichtig ist, und das ist der allererste Schritt, und ich komme zu einem der Eingangsfragen zurück. Der allererste Schritt ist, wenn ich eine Veränderung haben möchte, dann fängt die Veränderung im Kopf an. Und die Veränderung im Kopf oder in der Überzeugung, im Herzen der Manager, die muss starten. Und wenn ich jetzt mal, ich nehme jetzt mal irgendeinen Geschäftsführer oder Werksleiter oder Abteilungsleiter. Wenn ich so eine Initiative starte, dann muss mir ganz bewusst sein, dass ich abgeben muss. Ich muss Entscheidungen abgeben, ich muss Power abgeben, ich muss Vertrauen schenken, weil sonst werden solche Dinge nicht funktionieren. Und wenn ich, sagen wir mal, grundsätzlich der Überzeugung bin, dass ich das nicht kann oder vielleicht nicht will, dann bin ich 100% überzeugt, dass egal, welche Trainings diese Abteilung bekommt, wo ein Chef draufsitzt, der sagt, ich kann und will das aber nicht, meine Power abgeben oder mein Team entscheiden lassen, ohne mich und ich möchte im Urlaub definitiv angerufen werden. Ich möchte nicht im Urlaub drei Wochen verbringen und keine Anrufe bekommen. Ich möchte jederzeit bei wichtigen Entscheidungen kontaktiert werden. Wenn ich davon nicht abrufen möchte, dann ist meine Erfahrung, brauche ich auch gar Geld in Schulungen, Trainings oder sonst irgendwas, stecken. Da ist jede Methode für die Katz, weil Veränderung muss bei einem selbst anfangen und es muss beim Top-Management anfangen. Und die müssen loslassen, die müssen als Vorbild fungieren, muss ihnen bewusst sein. Und die müssen, egal, welche Veränderung ich haben will, die müssen ich mit sehr, ich sage mal, sehr konsequenter und sehr qualifizierter Art und Weise auch umsetzen. Und dann sind aber alle Methoden sinnvoll. Aber auch andersherum, es funktioniert aus meiner Erfahrung überhaupt nicht, wenn ich nur Methoden trainieren lasse und sage mal, den Change, den Kulturwandel, die Führung, das Thema Veränderung im Managementteam nicht angehe, dann kann ich nur sagen, dann sollten wir es lieber lassen.
Thorsten Jekel
Klasse. Und die einen oder anderen Hörer, die uns jetzt im Hörer im Digital for Productivity-Podcast zuhören, die werden sich jetzt die Frage stellen, Moment mal, ist es nicht ein Podcast, wo es das Thema Digitalisierung geht hier. Ich habe ganz bewusst immer wieder mal Gäste dabei, die auf den ersten Blick gar nicht so zum Thema Digitalisierung passen, weil ich ja mal sage, „erst Hirn einschalten, dann Technik“. Und ich auch fest daran glaube, dass das Thema eben Management und Organisation und Führung immer die größere eben Priorität haben sollte. Also Technik und Digitalisierung ist ein Werkzeug, aber eben ist nur ein Werkzeug und „fool with a tool is still a fool“. Und wenn wir das Ganze noch mal weitertreiben zum Thema künstliche Intelligenz, dann sage ich ja immer, „a fool with artificial intelligence makes the disaster faster“. Also da wird es noch schlimmer. Aber nichtsdestotrotz möchte ich gerne an dieser Stelle nachdem wir die grundsätzlichen Dinge mal besprochen haben, auch gerne mal deine Einschätzung zum Thema Digitalisierung gerne hören, zu sagen, wie siehst du das ganze Thema Digitalisierung im Rahmen Operational Excellence der Projekte, die du verantwortest, durchführst, bis hin zur Interimsgeschäftsleitung auch?
Raphael Fiegler
Vielleicht vorab, um das mal zu bestätigen, was du gesagt hast, und das ist auch meine Erfahrung: Einen schlechten Prozess zu digitalisieren und zu automatisieren, macht leider nicht besser. Genau. Also vorab erst wirklich Gehirn einschalten, Dinge optimieren und dann digitalisieren, sonst habe ich am Endeffekt nichts gekonnt.
Also Digitalisierung ist auch in dem Feld extrem wichtig und dessen muss man sich auch immer gut sein. Ich gebe mal einfach ein paar Beispiele, warum diese Themen extrem wichtig sind auf das Thema Digitalisierung. Wenn man im Bereich Operational Excellence unterwegs ist, dann geht es ja darum, Verantwortung, grundsätzlich mal, egal in welcher Abteilung, egal in welchem Unternehmen an die Basis zu geben. Also die Basis zu stärken und wirklich eine, ja, sagen wir mal, Eigenverantwortung zu erzeugen an der Basis, eine Eigenqualifikation, Selbstinitiativen zu stärken. Und das kann ich natürlich einmal auf einem Blatt Papier machen, indem ich immer noch Mitarbeiter Dokumente ausfüllen lasse, die irgendwo auf dem Blatt Papier unterschreiben lasse und in irgendwelchen von den 500 Ordnern im Büro abhefte. Oder ich kann dann natürlich mittlerweile sehr charmant und sehr digital tun. Ich gebe mal ein paar Beispiele. Sagen wir mal, im Bereich Operations ist es halt extrem wichtig, ein extrem teurerer Maschinenpark, wo die Qualität und die Performance eines Unternehmens entscheidet, wie zufrieden der Kunde am Ende des Tages ist, dass die Pflege der Maschinen extrem wichtig. Also diesen Punkt. Einer von den Themen Operation und Excellence ist wichtig, dass die Mitarbeiter, ja, quasi ihre Maschine als ihr Baby ansehen und sagen, das ist mein Baby, ich pflege meine Maschine, weil wenn die top gepflegt ist, dann erzeugen wir eine Top-Qualität, eine extrem hohe Performance und am Ende sind die Kunden zufrieden. Um das zu tun, wie gesagt, von Zettelwirtschaft geht es ganz viel jetzt dahin und bei fast allen Unternehmen, die ich die letzten Jahre leiten durfte oder unterstützen durfte, sind all die Dinge komplett schon am an sehr vielen Stellen bei allen neuen Maschinen schon komplett digitalisiert. Ich gebe mal ein Beispiel, ich muss eine Maschine zum Beispiel reinigen oder inspizieren oder schmieren, sie im Top-Zustand zu halten. Dann habe ich keinen Zettel mehr, wo zwei, drei Fotos drauf sind oder irgendeine Unterschrift drauf ist, sondern ich habe auf meinem Display, an meinem Füller, an der Etikettiermaschine, an meiner Stanze, habe ich ein cooles Touchpanel, was mir sagt: „Patsch, 2000 Stunden sind um. Du musst jetzt an der Stelle inspizieren, an der Stelle schmieren, dann kommt eine schöne Anleitung in 3D, was mir genau zeigt, wo und wie ich welchen Check mache und quittiere das dann auch auf diesem Display.
Das ist Variante Eins. Da habe ich schon mal alles digital. Ich kann wirklich im SAP direkt nachbuchen, sind alle Checks gemacht worden, muss ich Ersatzteile nachbestellen? Der Zustand der Maschine ist ein Top-Zustand. Das ist Variante Eins, aber es geht noch viel weiter in der Digitalisierung heutzutage in Operations. Diese Dinge kann ich mittlerweile auch ganz easy über Virtual-Reality-Brille machen. Also ich bekomme die Brille auf, bin mein Operator, egal in welchem Umfeld ich Automotive bin oder Chemieumfeld oder auch Lebensmittel-, Fast-Mobil- und Consumer-Cruise-Umfeld bin. Ja, genau. Ich habe diese Brille auf und ich habe zum Beispiel in dieser Brille Arbeitsanweisungen, also Betriebsanweisungen drin. Ich habe Schulungsunterlagen drin, ich habe Schmieranleitung, Inspektionspläne drin. Ich setze die Brille auf und die führt mich quasi durch und ich kann quasi mit der Unterstützung der Software in dieser Brille kann ich meine Tätigkeiten angeleitet, unterstützend tun. Von daher mal diese Beispiele, aber ich gebe gerne noch ein Beispiel, weil ich es extrem spannend finde. Also auch das ganze Thema Automatisierung und Robotertechnik ist extrem im Kommen und sehr viele Dinge sind da extrem erleichtert. Ich gebe mal ein Beispiel aus dem Unternehmen, was ich gerade leite. Da wurden AGVs eingeführt, also quasi automatisch fahrende Transportsysteme. Vorher hat man Paletten, also Leergut, sage ich mal, sehr aufwendig, quer durch Hallen gefahren. Und dann, sage ich mal, im Tag fünf, sechs Staplerfahrer sich nur noch mit beschäftigt, Lehrgut an die Anlagen zu bringen, es dann wieder abzuführen. Diese Prozesse sind jetzt vollautomatisiert. Da ist kein Staplerfahrer mehr. Also die Paletten werden automatisch durch diese AGVs abgeholt, auf die Linie gebracht und auch wieder weggebracht und spart natürlich zum einen Geld. Das ist natürlich, ja, ist klar immer eine Einsparungsthematik, aber bringt auch in dem System eine extrem hohe Verlässlichkeit mit sich. Die Systeme arbeiten nahezu 100% mittlerweile, ich glaube, 99,6% Performance liefern die ab, also eine extrem hohe Verlässlichkeit. Ist extrem hohe Kosteneinsparung. Ich habe auch sehr hohe Qualität im Handling der ganzen Sache. Ich habe Arbeitssicherheit an vielen Stellen deutlich reduziert, weil ich einfach keine Menschen mehr habe, die irgendwie Fehler machen können beim Staplerfahren.
Thorsten Jekel
Die ich ja zum Teil gar nicht mehr kriege. Genau, genau. Das ist ja das Thema, wo ich immer sage, es hört sich immer so an, so nach dem Motto, wir sind die eiskalten McKinsies, die Jobkiller. Also was ich in vielen Unternehmen wahrnehme, ist, dass wir noch nicht mal nur einen Fachkräfte- sondern einen Arbeitskräftemangel teilweise einfach in allen Bereichen haben. Also was ist wieder deine Erfahrung bis zu dem Thema?
Raphael Fiegler
Absolut, absolut. Das ist definitiv so. Von daher helfen natürlich alle Automatisierungen und Digitalisierung definitiv. Was man aber auch sagen muss, und das ist eigentlich so ein bisschen die Kehrmedaille von der Diskussion, wenn es Fachkräfte oder Arbeitskräftemangel geht. Wenn man sich einfach mal anguckt über die letzten zehn Jahre, wie Unternehmen in Europa ihre Produktivität gesteigert haben, weil bei all der Digitalisierung, Automatisierung müsste man ja erwarten können, ja das geht alles mit deutlich weniger Leuten. Die Produktivität muss ja ins Unermessliche gestiegen sein und leider hat sich da gar nichts getan. Und da komme ich immer wieder darauf zurück und da komme ich wieder zum Thema Operational Excellence. Ich kenne kein Unternehmen, was ich aktuell unterstütze oder auch geführt habe, wo nicht Produktivitätssteigerungen in der Größenordnung von 30 bis 50% möglich waren in 2-3 Jahren, die natürlich dann dazu geführt hat, dass ich am Ende dann entsprechend auch viel, viel weniger Fachkräfte und Personal brauche, wenn ich so was wie Operational Excellence, TPM Six Sigma, wirklich nachhaltig und konsequent umsetze, dann löse ich einen Großteil meiner Fachkräfte- und vor allen Dingen Personalproblemen.
Thorsten Jekel
Ja, und das ist auch immer, was ich immer wahrnehme, beim Thema Digitalisierung auch zu Ich muss sagen, oft erhöht Digitalisierung die Komplexität und die Kosten, aber es reduziert nicht die Komplexität und es macht nicht produtiver. Also deswegen, das ist das gleiche Horn, in das wir, glaube ich, beide blasen, wo ich immer sage, Leute, ich wette immer so nach, auch in vielen Bereichen heißt es immer, wir brauchen mehr Digitalisierung. Und manchmal sage ich so, Manchmal brauchen wir einfach noch weniger und auf alle Fälle weniger vom falschen und mehr vom richtigen in dem Bereich. Und so wie ich auch immer sage, ist, das papierlose Büro ist kein Selbstzweck, außer wenn ich jetzt mal das Thema weniger Papier im Sinne Nachhaltigkeit sehe, aber sonst sage ich immer, okay, die Frage ist, habe ich vielleicht eine zentrale Ablage, die für alle leichter verfügbar ist? Habe ich die Möglichkeit, Prozesse zu beschleunigen, die Kommunikation zu verbessern? Das sind dann Ziele, aber das ist immer so dieses Thema Digitalisierung als Digitalisierung sind wir bei dem, was du ja auch gesagt hast und was der ehemalige Chef der Telefonik ja mal gesagt hat, wenn du eben einen beschissenen Prozess digitalisiert hast, hast du einen beschissenen digitalen Prozess. Und meine Erfahrung ist, dass es meistens sogar noch schlechter wird in der digitalen Form. Also wir sind dann meistens sogar eher schlecht damit dabei.
Also deswegen vielleicht auch noch mal, wir haben jetzt schon Augmented und Virtual Reality, eben wir haben über Robotik gesprochen. Wie siehst du denn das Thema künstliche Intelligenz im Bereich eben Operational Excellence?
Raphael Fiegler
Also bis jetzt noch nicht viel wahrgenommen. Also ich glaube, meine Einschätzung ist, dass Firmen sich da schon mit beschäftigen, grundsätzlich mal herauszufinden, wo können wir sinnvoll einsetzen. Und klar, ich will ich nicht ausschließen, dass es da auch Bereiche gibt, wo man sie nutzen kann, aber aktuell sehe ich noch nicht viele Anwendungen. Dafür sind viele Jobs einfach zu sehr, sagen wir mal, operativ tätig, um sie wirklich von KI unterstützen zu lassen. Also aktuell ist da, glaube ich, noch viel, was passieren muss, sie wirklich sinnvoll einsetzen zu können auf der Seite.
Thorsten Jekel
Ja, und aber auch, ich bin immer sehr glücklich, wenn ich Gesprächspartner habe, die da nicht so euphorisch sind, weil ich sage immer, bevor wir mit künstlicher Intelligenz anfangen, lass uns dann mit gesunden Menschenverstand vorher mal starten. Also deswegen bin ich da mein großer Freund davon. Und auf der Basis, dann kann man im zweiten Step noch mal das Thema auch mit draufsetzen. Also deswegen, also finde ich das hochspannend und Und wenn jetzt Unternehmen sagen, Mensch, ich bin nicht irgendwie so happy mit dem, was wir gerade an Produktivität fabrizieren, wie kannst du Unternehmen unterstützen? In welcher Form unterstützt du dort Unternehmen?
Raphael Fiegler
Alos zum einen in Form von Coaching, wie ich vorhin gesagt habe, Veränderung, wenn es zu Produktivität oder was auch immer geht, fängt immer beim Management an, sprich die Manager wirklich fit zu machen. Zum einen entweder individuell, wo ich sage, Einzelcoaching auch, einen Manager fit zu machen, ihre Rolle besser zu machen, bis hin zu Gruppencoaching oder auch Gruppen-Trainings, was das ganze Thema Operational Excellence angeht. Es geht aber dann auch hin, dass ich sage, Coaching ist ein Part, das andere ist natürlich Training auch der Gesamtorganisation, wo ich anbiete, egal welche Abteilung, egal welches Unternehmen, wirklich individuell pro Abteilung auch die richtigen, also zu den Führungsthemen auch die richtigen Methoden zu trainieren, um sie dann auch entsprechend selbstständig anwenden zu können. Aber was natürlich auch ein großer Part ist, auch die Analyse, die ich vorhin mal beschrieben habe, wirklich ins Unternehmen reinzugehen, einfach mal ein paar Tage auch durchs Unternehmen zu laufen, um, sage ich mal, vernünftige Einschätzung zu machen, ob es jetzt Mitarbeitergespräche sind, ob es die Prozesse sich mal anzuschauen, die Kennzahlen anzuschauen, die Prozesse anzuschauen, zu sehen, wo sind eigentlich die Pain Points im Unternehmen und dann auch, wie vorhin schon beschrieben, eine vernünftige Roadmap mit dem Unternehmen abzuleiten. Und da ist es ganz wichtig, dass ich erst mal grundsätzlich, wenn Unternehmen mich gar nicht kennen und ich sage, nein, ich kenne mich, biete immer an, einfach mal kostenlos auch mal einen halben Tag oder einen Tag einfach vorbeizukommen, mit dem Geschäftsführer, dem Werksleiter, Abteilungsleiter, einfach mal durchzulaufen und einfach mal alles wirken zu lassen, weil man kann viele Theorien erzählen, aber ich bin immer ein Freund von go to Gemba. Also gehe an Ort des Geschehens und gucke mir Dinge an und unterhalte ich mit Leuten, beobachte sie, einfach in den Dialog zu treten. Aber was ich auch anbiete, da bin ich aktuell auch am Interimspandat, ich biete auch an, wenn es größere Veränderungen geht, ob es jetzt ein Turnaround ist oder einfach auch eine höhere Managementposition, ob es ein Geschäftsführer, ein Werksleiter, ein Produktionsleiter technischer Leiter, was auch immer benötigt wird, auch eine gewisse Zeit zu überbrücken, biete ich da gerne an. Aber auch wenn man sagt, ich möchte gerne ein Unternehmen kaufen. Ich brauche jemanden, der als Übergangslösung da auch unterstützt oder auch ein größeres Projekt begleitet, weil wir es intern nicht stemmen können, biete ich da auch meine Dienste als Internehmensmanager.
Thorsten Jekel
Cool. Also das heißt, jemand, der nicht nur sappelt, sondern macht, die Ärmel hochkrempelt, dort die Dinge anzupacken, die relevant sind und trotzdem dann auf der Basis strategisch den Blick in die Zukunft hat. Also deswegen sage ich an dieser Stelle vielen herzlichen Dank für die Inspiration. Also mal ein Blickwinkel, der für mich immer relativ unbekann ist, wenn es in das Thema Produktion reingeht. Ich bin ja so ein typischer Vertriebsmensch und ich sage immer, wenn ich auch zu Vorträgen eingeladen werde, sage ich immer, wenn es irgendwie das Thema Produktion geht, sage ich immer, nimmt da jemand anders, weil ich habe zwar schon die eine oder andere Produktion mal als Gast ein bisschen besichtigt, aber die Dinge, die du siehst, wenn man in einer Produktion reingeht, die Dinge, die ich sehe, das sind Lichtjahre. Also das heißt, wirklich der absolute Experte, der so was umsetzt. Bin auch sehr froh, dass du mit beim Business Expert School mit dabei bist. Also das heißt, wenn da Fragen sind, haben wir den lieben Raphael Fiegler auch regelmäßig drin, sodass er einfach auch nicht „Fiedler, sondern „“Fiegler“. Entschuldige, bitte. Das muss ja schon richtig sein hier. Den lieben Raphael Fiegler mit dabei, der dann auch im Business Expert School Rede und Antwort steht.
In diesem Sinne sage ich, „Rede und Antwort war das Motto dieses Podcasts, dieser prototiven Dreivierhundertstunde“. Ich sage, vielen herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg, lieber Raphael. Danke dir. Bis zum nächsten Mal.
Raphael Fiegler
Ja, vielen, vielen Dank Thorsten. Bis dann. Ciao.
Thorsten Jekel
Das war eine weitere Episode von Digital for Productivity. Dem Podcast für Produktive Digitalisierung. Und immer daran denken, erst Hirn einschalten, dann Technik. Ihr, Thorsten Jekel.